Orientalische Mövchen im alten Typ – es gibt sie noch!

Auf der Kleintierausstellung des BL 4 KTZV Oberwart im Oktober 2005 lernte ich einen Taubenzüchter namens Qaush Shkreli kennen. Dieser Mann mit seinem für mich beinahe unaussprechlichen Namen ist gebürtiger Albaner und stammt aus dem Kosovo.Er lebt bereits seit vielen Jahren mit seiner Familie und natürlich seinen Tauben in Österreich.

 

Herr Shkreli hatte auf der oben erwähnten Ausstellung eine recht schöne Kollektion Orientalische Mövchen ausgestellt. Unter den ausgestellten Tieren befanden sich auch vier Tauben, die mir sofort ins Auge sprangen, weil sie einen vollkommen anderen Typ verkörperten, als wir in Österreich kennen.Es handelte sich um Satinetten in den Farben Blauweißgeschuppt und Blauweißbindig. Das Besondere an diesen vier Tieren war jedoch ihr Aussehen. Einerseits waren sie viel zierlicher als die „modernen“ Orientalen und andererseits besaßen sie zahlreiche Merkmale, die sie von diesen vollkommen unterschieden. So war es auch wenig verwunderlich, daß sie nicht bewertet waren, denn für derartige Tauben gibt es im Deutschen Rassetaubenstandard keine Vorlage.

 

 

Das Aussehen

Als ich also vor den Käfigen dieser attraktiven Tauben stand, erinnerte ich mich sofort an zwei Fotos aus der letzten Ausgabe des Mövchenjournals „Kurz und Rund“ des deutschen Sondervereins der Mövchenzüchter von 1894, die als „Alt-Satinetten“ bezeichnete blauweißgeschuppte Orientalen aus den frühen Dreißigerjahren zeigen. Genau so, dachte ich bei mir, sehen diese vier Tauben aus. Die wesentlichen Unterschiede zu den „modernen“ liegen in ihrer Kleinheit, ihrer Mittelschnäbligkeit und einer etwas anderen Kopfform (-nicht so stark ausgeprägter Vorkopf, spitzeres Gesicht).

 

 

Zu Hause bei Herrn Shkreli

Begeistert von dem entdeckten Schatz setzte ich mich sofort mit Herrn Shkreli und einem weiteren befreundeten Taubenhalter ins Auto, um die Tiere des Albaners in seinem ca.10 km entfernten Heimatdorf zu besichtigen. Dort angekommen stellte ich sofort erfreut fest, daß sich nahezu der gesamte Bestand meines Gastgebers (ca.fünfzig Tauben) aus Orientalischen Mövchen dieses alten Typs zusammensetzt. Von den „alten“ besitzt Herr Shkreli ausschließlich Satinetten und zwar in den Farben Blauweißbindig („Bluetten“), Blaufahlweißbindig („Silveretten“), Blauweißgeschuppt, Blaufahlweißgeschuppt, Blaurosageschuppt, Schwarzgesäumt, sowie einer genetisch noch nicht analysierten Farbe, die an Khakifahlweißgeschuppt („Sulfuretten“) beziehungsweise Khakifahlweißbindig (allerdings noch etwas heller als diese) erinnert. Bei letzteren könnte es sich auch um gesäumte also um Tiere mit Ausbreitungsfaktor für Farbe handeln, was ich aber über geeignete Probepaarungen hoffentlich rasch herausfinden werde. Unabhängig davon scheint hier jedenfalls irgendein, möglicherweise noch unbekannter, aufhellender Erbfaktor vorhanden zu sein, dessen Analyse eine recht spannende Angelegenheit zu werden verspricht.

 

Im Gespräch mit Herrn Shkreli

Bei der nun folgenden „Fachsimpelei“ erzählte mir Herr Shkreli, daß er damals, als er mit seiner Familie nach Österreich gezogen war, selbstverständlich auch seine Tauben aus dem Kosovo mitgebracht habe. In seiner Heimat sowie auch in den anderen Ländern Exjugoslawiens gäbe es noch zahlreiche Züchter, die sich mit diesen „alten“ Orientalen, aber auch mit einigen anderen, bei uns kaum bekannten Mövchenrassen wie etwa Mazedonischen Mövchen beschäftigen. Des weiteren erzählte mir mein Gastgeber, daß er seine „Altsatinetten“ erst kürzlich nur wenige Kilometer entfernt jenseits der ungarischen Grenze in unserem Nachbarland, das ja mittlerweile auch zur EU gehört, ausgestellt habe, wobei er teilweise hervorragende Bewertungen erhalten habe.

 

 Es wäre doch hochinteressant, herauszufinden, ob die „alten“ Orientalen in Ungarn als eigenständige Rasse anerkannt sind. Wäre das der Fall, so könnte man sie unter Vorlage ihrer Standardbeschreibung in jedem anderen Land der EU ausstellen. Herr Shkreli wird bei einem seiner nächsten Besuche in Ungarn versuchen, eine Kopie des entsprechenden Standardtextes zu bekommen.

 

Zucht und Haltung

Abschließend noch einige allgemeine Bemerkungen zu den „neuen Alten“.

Diese Tauben beeindruckten mich nicht nur wegen ihrer wunderschönen Erscheinung und  ihres angenehmen, recht menschenbezogenen, mövchenhaften Wesens, sondern auch durch ihre Vitalität. So versicherte mir Herr Shkreli glaubhaft, daß sie  völlig unproblematisch in der Haltung seien. Anders als bei den modernen Orientalischen Mövchen benötige man für deren Zucht keine Ammentauben, da sie wegen ihrer Mittelschnäbligkeit im Stande seien, ihre Jungen selber aufzuziehen. Gerade aufgrund dieses Aspektes stellen diese Tauben, wie ich finde, eine echte Alternative für all jene dar, die sich gerne mit Orientalischen Mövchen in all ihren prächtigen und einzigartigen Farbenschlägen befassen würden, aber vor dem Aufwand einer Ammenzucht zurückschrecken.

 

In Bezug auf die Farben der Altorientalen, wie ich sie im Schlag von Herrn Shkreli gesehen habe, muß man fairer Weise sagen, daß es sich bei seinen Tauben um noch recht „ungeschliffene Diamanten“ handelt. So besitzt er beispielsweise derzeit kein einziges Tier, das eine wirklich rein weiße Schuppung oder Binde trägt, was übrigens auch ein Hinweiß darauf ist, daß es sich bei seinen Tauben tatsächlich um die alte, „unveredelte“ Form der Orientalischen Mövchen handelt. Farblich saubere Binden und Schuppung erzielte man nämlich bei den „modernen“ Orientalen nach Aussage von Hans Dondera, seines Zeichens Sonderrichter für Mövchen und Altmeister der Rassetaubenzucht, auch erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und zwar durch Einkreuzung eines Importtäubers aus England, mit dessen Hilfe der Durchbruch gelungen sei (siehe: „Rasse des Jahres 1999 - Orientalische Mövchen - Juwelen aus dem Orient“, Sonderausgabe des Sondervereins der Mövchenzüchter von 1894, S.10). Wenn, nebenbei bemerkt, in einer Rasse, in der die Gene des Toy Stencilkomplexes für die Aufhellung der Zeichnungsanlage verantwortlich zeichnen, nicht laufend Selektionsarbeit in Richtung saubere Binden oder Hämmerung geleistet wird, so besteht immer die Tendenz für das Auftreten von unerwünschtem Rost und Pfeffer. Bei Herrn Shkrelis Tauben sind sicher alle erforderlichen Gene vorhanden, es fehlt ihnen lediglich an dieser Selektion in die heute gewünschte Richtung. Eine einmalige, möglichst „typschonende“ Einkreuzung eines besonders sauber gezeichneten Tieres aus einer anderen Zucht könnte man eventuell ins Auge fassen, um das gesteckte Ziel rascher zu erreichen. 

 

Mit anderen Worten, hier bliebe wohl noch einiges zu tun, was allerdings eine reizvolle Aufgabe sein könnte und mit etwas gutem Willen durchaus machbar wäre. Nebenbei bemerkt, dürfte es an Mitstreitern nicht fehlen, da sich dem Vernehmen nach bereits auch an anderen Stellen in Mitteleuropa namhafte Zuchtfreunde dieser lohnenden Aufgabe widmen. Für etwaige Interessenten bin ich gerne bereit, die nötigen Kontakte herzustellen.

 

Andreas Boisits